Vierter
Teil
Bewusstsein und Evolution
Perspektive
statt Prognose
Wenn alles seine Berechtigung, seinen
prinzipiellen und höheren Sinn hat, können wir dann den Dingen nicht getrost
ihren Lauf lassen und das Weltengeschehen mit transzendentaler Gelassenheit vom
Olymp philosophischer Entrückung aus betrachten, ähnlich dem göttlichen
Beobachter, der das Laisser-faire zelebriert und sich nicht die Hände mit
Geschichte schmutzig macht? Wenn alles so sein muss, warum sollten wir gegen irgend etwas
Widerstand leisten, warum uns für irgend etwas mit Bestimmtheit engagieren?
Gilt als die Tugend der Weisen nicht seit jeher die Seelenruhe? Das »happy understanding« als Erlösung nach Philosophenart,
vergleichbar dem »happy dreaming« der Künstler und
Utopisten oder dem »happy making« der Macher und
Manager?
Das wohlwollend
wissende Einverständnis mit der Welt, das allem die Absolution spendet –
verstehen, sagt man, heiße verzeihen; und wenn es denn sein soll, mag es
hereinbrechen, das apokalyptische Finale furioso –, diese Art von abgeklärter
Gelassenheit hätte etwas von Fatalismus und Zynismus. Noch sind wir keine
reinen Zuschauer, jenseits von Raum und Zeit. Der Wechsel von Erkennen und
Handeln, der provozierende Widerspruch zwischen wissender Souveränität über und ratloser Verstrickung in Geschichte bleibt uns nicht erspart.
Und diese Geschichte sieht alles andere als berückend aus.
Das polare
Weltbild bedeutet nicht die Absegnung der Realitäten. Es erkennt zwar die
Existenzberechtigung, die Notwendigkeit des Negativen oder »Bösen« an; aber es
hat nicht automatisch Gleichgültigkeit oder die Umwertung der Werte zur Folge.
Schwarz wird nicht weiß, Trauer wird nicht Freude, und Verachtung wandelt sich
nicht in Bewunderung. Die Akzeptanz der Widersprüchlichkeit des Seins kann vor
der Verzweiflung und dem Gefühl der Absurdität schützen, sie erhöht
gewissermaßen die Toleranzgrenzen; sie schwächt jedoch nicht den Willen zum
Widerstand, wo er nötig ist. Toleranz und
Widerstand existieren in einem paradoxen, aber legitimen Nebeneinander.
Nicht minder legitim ist es, je nach Lage der Dinge die Position zu wechseln,
zwischen Apologie und Anklage.
Die Realitäten sehen nicht gerade
ermutigend aus. Mensch und Umwelt befinden sich in einem kritischen, um nicht zu
sagen: desolaten Zustand. Für Pessimisten Grund genug, den scheinbar glücklosen
Planeten Erde und dessen missratenen Herrscher abzuschreiben, die Gattung Homo
sapiens als missglücktes Experiment der Evolution der baldigen und
unweigerlichen Apokalypse zu überlassen. Manch einer hofft insgeheim, dass
wenigstens die Natur die Endzeitkatastrophe überlebt und daß
andere, sanftere und sensiblere Tierarten – ein Wissenschaftler nannte die
Delphine – die Linie der Evolution fortführen mögen.
»Der
Mensch braucht die Natur, aber die Natur braucht nicht den Menschen!« Dieser Slogan, gemixt aus snobistischer Bescheidenheit
und sachter Drohung, dürfte etwa ebenso schlüssig sein wie die Behauptung: »Das
Leben braucht die Erde, aber die Erde braucht nicht das Leben!«
oder: »Das Kind braucht seine Eltern, aber die Eltern brauchen nicht ihr Kind!«
In der Natur geht es nicht darum, ob etwas »gebraucht« wird oder nicht. Die
Evolution hat, bei aller Zickzackbewegung und trotz des Zufalls als kreativer Komponente, konsequent auf die
Dimension bewusster Geist
hingearbeitet. Sicher keine Garantie für Unersetzbarkeit und Unsterblichkeit
des Menschengeschlechts. Dennoch, es wäre unlogisch, der Natur, wenn man sie
schon personifiziert, zu unterstellen, es sei ihr gleichgültig, was aus ihrem
jüngsten, aber raffiniertest ausgestatteten Kind wird. Sie habe ihm zwar ein
außergewöhnliches Instrument, den Verstand, mitgegeben, nicht jedoch die
Fähigkeit, dieses Instrument sinnvoll
einzusetzen.
Die
Hoffnung der »Biologisten« auf eine vom Menschen befreite Erde, ihre Vision
eines riesigen, harmonisch geeinten botanischen oder zoologischen Garten Eden,
verrät das geheime Misstrauen, den Zweifel an den Qualitäten Bewusstsein und Geist. Derartige Zukunftsprojektionen stellen, zumindest unbewusst,
die gesamte Evolution in Frage und sind zudem wenig konstruktiv.
Zweifellos
ist die Menschheit in eine überaus fragwürdige Situation geschlittert. Doch
statt lähmender Resignation und vorschnellen Verdammungsurteilen – noch leben
wir ja! – sollte der Versuch lohnen, das Schicksal des Menschen als noch offen
anzusehen und einen Ausweg aus der prekären Lage zu suchen: Problemlösung nicht
im Sinne monistischer »Erlösung« – solche Heilslehren
haben geschichtlich versagt, nichts verhindert, das Übel nur verschlimmert –,
sondern sich gründend auf ein Interpretationsmodell, das die spezifisch menschengemachte Misere erklärt und die Richtung aufzeigt,
in die ein gangbarer Weg führen könnte. Ursachenforschung statt Schuldzuweisung
– Perspektive statt düsterer Prognose!
Ob eine
solche zukunftsweisende Perspektive noch reelle Chancen auf Verwirklichung hat,
ist müßige Spekulation. Larmoyanz und Kassandrarufe allein zeigen gewöhnlich
wenig Wirkung. Resignierte Endzeitprophezeiungen mögen alten Männern, die am
Rande des Grabes stehen und mit dem Leben gewissermaßen schon abgeschlossen
haben, verziehen sein. Gegenüber den Jungen wäre die Predigt der
Hoffnungslosigkeit jedoch unfair und unverantwortlich.
Natürlich
ist es theoretisch möglich, dass die Erde als ein Planet »ohne Fortune« in
einem apokalyptischen Spektakel, inszeniert von ein paar wahnsinnigen
Exemplaren der Spezies Mensch als Handlangern chaotischer Destruktivität,
untergeht – für den göttlichen Zuschauer gleichsam schauerlich schönes
Horrorkontrastprogramm gegenüber anderen, glücklicheren Planeten. Wenn alle
Planeten gelängen, wäre das ja entsetzlich langweilig! Doch ein derart
vernichtendes Urteil ist erst im Augenblick der Katastrophe erlaubt. Wer es
vorwegnimmt, handelt bzw. denkt kleinmütig oder zynisch, menschen- und erdenverachtend. Sich vorzeitig aufzugeben und mangels
Perspektive ins angeblich Unvermeidliche zu fügen wäre alles andere als ein
Verdienst.