Ausstieg „destruktiv“

 

Bei allen Annäherungsversuchen der Erwachsenen an die Jugend – es riecht schon manchmal verdächtig nach Anbiederung – das Misstrauen zwischen den Generationen lässt sich kaum leugnen. Sie nennen es „Generationenkonflikt“, halten ihn für unvermeidlich und naturgegeben. Das ist die bequeme Lösung des Problems. Die Erwachsenen sehen keinen Grund, das Schema, in das sie die Jugend pressen, in Frage zu stellen. Zum Konflikt käme es allemal.

Gewöhnlich stehen sie zwar vor gescheiterten Partnerbeziehungen und vor einem in mancher Hinsicht vergeudeten Leben. Dennoch halten die Eltern starr an ihren Überzeugungen fest und versuchen, sie der Nachfolgegeneration aufzuzwingen. Sie sind unfähig und nicht bereit, ihre verkorkste Weltanschauung zu überprüfen, geschweige denn, zu korrigieren.

Ist es der unbewusste Neid, die Jugend könnte mehr Freiheit genießen und weniger von absurden Moralvorschriften eingeengt sein? Ist es die geheime Angst, sich eingestehen zu müssen, ein Leben lang unter falscher Flagge gefahren zu sein?

Die Eltern wollen zwar, dass es ihren Kindern besser geht als ihnen selbst. Sie verwöhnen sie und erfüllen ihnen alle Wünsche, nur nicht den einen, „sie selbst zu sein“. Die Protestsignale der frühkindlichen Trotzphase überspielen sie, und auch in der zweiten klassischen Trotzphase, in der Pubertät, drängen sie ihre Kinder mit allerlei Tricks in die gewünschte Richtung, in eine unrühmliche Kapitulation.

 

Die Ressentiments der Jungen gegenüber den Alten, die offenbar ihre eigene Kindheit verdrängt oder nur das „Schöne“ im Gedächtnis behalten haben, sind berechtigt. Die Jugend protestiert und rächt sich auf ihre Weise. Sie ärgern ihre Lehrer, lachen sie aus und machen sie „fertig“. Sie marschieren mit Plakaten auf die Straße, rauchen Hasch und begeistern sich für politische Anti-Systeme. Und manchmal werden sie gewalttätig.

Die jugendlichen Widerstandskämpfer haben es nicht leicht, ihren Protest zu begründen und ihre Ziele zu definieren. Die konservative Gegenseite hat den Vorteil einer langen Tradition. Sie kann auf einen Fundus wohlformulierter geistreicher oder frommer Argumente zurückgreifen. Die Anti-Denker, die es schon immer gab, wurden schamhaft verschwiegen oder lächerlich gemacht. Die Jugend erfährt von ihnen kaum etwas. Das führt zu einem Mangel an formulierter, trainierter Anti-Denkungsart. Die rebellische Jugend schafft es nicht immer, zum Kern ihres inneren Widerstandes vorzustoßen, ihren instinktiven Widerwillen rational zu begründen. Da klingt manches unausgegoren.

Ist es ihre Schuld, wenn sie von einer Protestbewegung zur anderen irren? Wenn sie Farben und Richtungen wechseln, Hauptsache, sie nennen sich „Anti-“ „alternativ“ oder „revolutionär“?

Wo jugendlicher Protest in blinde Zerstörungswut, in Vandalismus eskaliert, reagieren die Erwachsenen entsetzt und fassungslos. Sie verabscheuen Gewalt, lehnen sie strikt ab. Die sublime Art von Gewalt in ihren Erziehungsmethoden nehmen sie schon lange nicht mehr wahr.

Sie zerschlagen Hoffnungen. Warum sollte die Jugend nicht Schaufenster einschlagen? Es war kein Zufall, dass zur Zeit der Studentenrevolte Geschäfte, Autos und Banken zertrümmert wurden, die Idole und das zentrale Nervensystem dieser Gesellschaft. Ebenso gut hätten die Revoltierenden die Schulen und Kirchen, die Orte der Demütigung und Verdummung, die „Zulieferer“ des Systems, in die Luft sprengen können.

Es gäbe gute Gründe, Hass zu predigen und Gewalt zu idealisieren. Der Terrorist ist das logische Pendant zu jenen fade lächelnden Blumenkindern und rührend naiven Pazifisten. Er rekrutiert sich aus der gleichen Gruppe der Unterdrückten, Ohnmächtigen und Enttäuschten wie die defätistischen Aussteiger per Droge oder Nullbockverweigerung. Nur – bevor er sich selbst zerstört, zerstört er lieber in einem trotzig verzweifelten Amoklauf das System und die anderen.

Nicht selten wurde aus einem schüchternen, gutmütigen Idealisten ein gewalttätiger Terrorist. Terror ist der „totale Krieg“, der rücksichtslose Protest gegen ein System, das wenig Rücksichten auf Andersdenkende nimmt und nicht gerade zimperlich seine Interessen verfolgt.

Ihr beschuldigt sie, „nur destruktiv“ zu sein. Aber habt ihr ihnen je erlaubt, „konstruktiv“ – außerhalb der festgelegten Norm – zu sein?

 

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