Der Schöpfungsmythos – Das Ebenbild und die Sinnfrage
In
ihrer Bildsprache reichen die Erzählungen des Mythos erstaunlich nahe an die
Wirklichkeit heran. Das Buch Genesis,
der Schöpfungsmythos des Alten Testaments, erzählt ohne jede
naturwissenschaftliche Kenntnis die Abfolge der Evolution verblüffend richtig.
Der Mensch wird am Ende der Schöpfung »nach Gottes Abbild als Mann und Frau«
geschaffen, wobei die Frau im »zweiten Schöpfungsbericht« erst nachträglich und
nicht gerade schmeichelhaft als »Männin« eingeführt wird.
Worin konkret die Ebenbildlichkeit
des Menschen zu seinem Schöpfergott besteht, bleibt vage, ungeklärt. Von der
Zweigeschlechtlichkeit, die dem Schöpfer, obwohl er in der »Wir«-Form spricht,
traditionsgemäß nicht zugeschrieben wird, einmal abgesehen, – ein »reiner
Geist« kann kein Abbild seiner selbst erschaffen. Zur Bildlichkeit gehören
Stoff, Form, Farbe. Diese materiellen, sinnlich erfahrbaren Qualitäten fehlen
definitionsgemäß dem »reinen Geist«. Bliebe noch die geistige Ebenbildlichkeit im Sinne eines personalen Bewusstseins.
Doch wovon sollte dieses geprägt, getragen und angetrieben sein? Von der Suche
nach Glück und Zufriedenheit, von der Neugier und dem Willen zur Erkenntnis?
All dies benötigt der »Allmächtige« und »Allwissende«
nicht, und gerade das verbietet der Schöpfer paradoxerweise seinem Ebenbild. Er
gibt ihm zwar den Auftrag, sich die Erde untertan zu machen. Zugleich belegt er
ihn jedoch mit dem Verbot, vom »Baum der Erkenntnis von Gut und Böse« zu essen.
Auch von dem »Baum des Lebens«, der ihnen Unsterblichkeit verleihen würde,
durften die ersten Menschen nicht essen. Ein wirklich ebenbürtiges Abbild
wollte der Schöpfer also nicht.
Was hatte er mit dem Menschen vor? Was bedeutete der
Mensch für ihn? Und was sollte er für den Menschen bedeuten? Die Frage drängt
sich auf: Was für eine Art von Beziehung kann zwischen so unterschiedlichen
Partnern entstehen? Ist eine Beziehung auf so ungleicher Augenhöhe überhaupt
möglich? Sollte dies eine Beziehung werden wie die zwischen »Herr und Hund«?
Der Schöpfungsmythos beschreibt die Entstehung der
Welt als den Schöpfungsakt eines Gottes. Eine
Frage aber, man könnte sie die »Frage aller Fragen« nennen – die berühmte Sinnfrage – bleibt der Mythos schuldig: Warum erschuf Gott die Welt? Eine Frage, die merkwürdigerweise im
Zusammenhang mit der allseits beschworenen Sinnfrage kaum gestellt, geschweige
denn beantwortet wird. Was hatte der Allmächtige im Sinn, als er sich ans Werk
machte. Was trieb ihn an? Und, hatte er das »nötig«?
Der »Absolute« bedarf, gerade das definiert ihn ja,
keiner Begründung und keiner Ergänzung. Warum ließ der in sich ruhende
Absolute, der sich doch selbst genug ist, auf eine Schöpfung ein, dessen
»Krönung«, der Mensch, sich nicht nach seinen Vorstellungen verhalten würde?
War es Einsamkeit, Langeweile? Ist es auch für einen Gott »nicht gut, dass er
alleine« sei?
War es der Ausbruch aus der geschichtslosen, öden
Ewigkeit in die Verstrickungen von Geschichte? Führte ihn dieses Experiment
nicht in eine letztlich frustrierende Beziehungsgeschichte mit dem Menschen,
einem Geschöpf, das ihm gegenüber doch weit »unter Niveau« ist? Und, was
bedeutet ihm dieses zugleich schöne und schreckliche Weltenspektakel? Musste er
sich oder einem Gegenüber etwas beweisen? Oder wollte er sich in seinem Werk
zum Ausdruck bringen? Kreatives Spiel mit Möglichkeiten, Unterhaltung
grenzenlos? Ob als Zuschauer oder Regisseur, bringt es ihn, den Absoluten, von
allem Losgelösten, nicht in eine fatale, emotionale Abhängigkeit? Reißt es ihn
nicht aus dem Idealzustand vollkommener, absoluter Existenz heraus?
Für den Schöpfergott wird die Sinnfrage nicht
beantwortet. Für den Menschen lautet die Antwort des biblischen Mythos
entschieden pragmatisch, diesseitig: »Macht euch die Erde untertan…« Von einer
»zweiten Schöpfung«, einer Umwandlung des Menschen nach dem Tod, von einer
postmortalen Rückkehr in ein Jenseitsparadies inklusive »ewiger Vereinigung«
mit seinem Schöpfer ist keine Rede. Die katholische Antwort auf die Frage:
»Wozu bin ich auf Erden?«, die da lautet: »um Gott zu
lieben, ihm zu dienen und dadurch die ewige Glückseligkeit zu erlangen«, lässt
sich aus dem Buch Genesis gewiss
nicht ableiten.
Das Leben als Probelauf für die Ewigkeit, eine das Diesseits
relativierende Sinngebung mit einem auf den Tod angstfixierten Blick – das
war nicht die ursprüngliche Idee der Schöpfung. Die transzendentale Sinndeutung
der menschlichen Existenz als eines Vorspiels zum Eigentlichen verdanken wir
dem Neuen Testament. Es stellt bekanntlich in vieler Hinsicht die Korrektur
des Alten Testaments dar. Man fragt sich: Warum die Sinneswandlung innerhalb
der Offenbarung? Hat es sich der abrahamitisch-jüdische Gott zwischen den
beiden »Testamenten« anders überlegt? Musste er seine ursprünglichen Pläne
ändern, weil ihm sein Werk letztlich misslang? Das wäre kein Kompliment für
den Schöpfer. Eine Schöpfung, die der »Erlösung« bedarf, lässt sich schwerlich
als Meisterwerk eines gütigen und allmächtigen Gottes deuten.
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