Ehe und Eheähnliches – Das Ende der „großen Liebe“?
Zwischen Utopie und Wirklichkeit
Die einen stolpern in die Ehe, naiv
und fraglos. Heiraten und Kinderkriegen ist für sie selbstverständlich – etwas,
was man nicht in Zweifel zieht. Andere entschließen sich bewusst, nach
„reiflicher Überlegung“ zu diesem Schritt. Die Hörner sind abgestoßen, die Zeit
der Wankelmütigkeit ist vorbei. Du hast die nötige Reife für eine „feste
Beziehung“ erlangt. Ein Mensch muss sich entscheiden können!
Die Zahl der Zauderer, der Paare ohne
Trauschein, nimmt zu. Aber irgendwann geben die meisten von ihnen einem
imaginären Druck nach; spätestens, wenn ein Kind erwartet oder geplant wird. Es
soll in „geordneten Verhältnissen“ aufwachsen.
Ist das Kind der wahre Grund oder nur
ein willkommener Vorwand für die Heirat? Verbirgt sich hinter dem Wunsch nach
„Ordnung“ nicht der infantile Wunsch nach Sicherheit und garantierter Geborgenheit?
Geben die beiden vielleicht doch einem moralischen Druck nach, den die Umgebung
auf sie ausübt? Denn für Ehepaare sind die Paare ohne Trauschein immer noch ein
Stachel – ob aus Neid, Misstrauen oder moralischen Bedenken, mag
dahingestellt sein.
Alle Welt atmet auf, Familie, Freunde
und Verwandte, wenn die beiden ihre bisher lockere Verbindung endlich
„legitimieren“ und ihre Liebe unter feierlichen Orgelklängen für alle Zeit
besiegeln.
Was macht die Ehe attraktiv? Wer hat ein
Interesse an diesem Zwitter aus schönen Träumen und schlimmer Realität? Wie ist
es möglich, dass eine Institution, die eine so klägliche Erfolgsrate hat, von sogenannten „Trendsettern“ immer wieder auf Erfolgskurs
gesetzt wird? Es dürfte sich herumgesprochen haben: Statistisch gesehen ist die
Ehe ein „Eiertanz“, eine Art „Russisch Roulett“ der Liebe. 'Was
veranlasst die jungen Paare, sich auf ein Abenteuer einzulassen, dessen
bitteres Ende beinahe vorauszusehen ist?
Es muss wohl das Märchen von der „großen
Liebe“ sein, das der Ehe den verklärenden Glanz verleiht. Da haben sich zwei
Liebende gesucht und gefunden, wie vom Schicksal füreinander bestimmt. Ihre
Liebe ist so einzigartig, dass sie alle anderen ausschließt. Sie ist so stark,
dass sie ein Leben lang hält. Die Zeit kann ihr gleich einem edlen Metall
nichts anhaben. Und alle Welt soll es wissen: Wir gehören für immer zusammen!
Wir tragen den gleichen Namen, den gleichen goldenen Ring. Wir versprechen uns
ewige Treue. „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lieben sie sich noch
heute…“
.Das klingt schön und rührt zu Tränen. Brautschleier,
Kirchenglocken, Chorgesang, Hochzeitstorte und Festreden – wer würde es den
beiden nicht wünschen, dass ihr Traum in Erfüllung gehe? Doch schon auf dem
Standesamt geschieht etwas Merkwürdiges. Da wird die „große Liebe“ plötzlich
auf das wenig romantische Niveau eines Vertrags mit Stempel und Unterschrift
heruntergezerrt.
Wozu dieses Papier? Soll es eines
Tages beweisen, dass das Ganze kein phantastischer Traum, keine Fata Morgana
war? Schwebt über der „großen Liebe“ womöglich von Anfang an ein geheimes
Misstrauen, das man beseitigen möchte, gemäß dem Motto: „Was man schwarz auf
weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“? Liebe mit lebenslanger
Garantie? Soll dieses Dokument die wohl doch sensible Liebe für alle Zukunft
magisch beschwören? Macht dieses Papier die Zweisamkeit tatsächlich stabiler,
die Gefühle sicherer?
Manches spricht dagegen. Da ist etwas
passiert, was die frisch Verheirateten im ersten Moment nicht wahrnehmen. Die
Tür, die vorher einen Spalt weit offen stand, ist zugeschlagen, die Falle
zugeschnappt. Ein Stück Freiheit und Freiwilligkeit wurde aufgegeben. Ein
kalter Hauch von „Zwang“ legt sich über die Liebe. Man kennt das aus anderen Bereichen:
Freiwilligkeit animiert – Zwang stumpft das Interesse an einer
Sache ab.
Eheleute haben ein fatales Recht
aufeinander. Das anfangs großzügige „Ich gehöre dir!“ wandelt sich nur zu
schnell in den eigensüchtigen, aber unbestreitbaren Anspruch: „Du gehörst mir!“
Die Ehe degradiert den Ehepartner zu einem vertraglich zugesicherten
Sexualobjekt, an dem man seine gelegentlich auftretende Brunst abreagieren
darf. Die Rechte werden durch die Pflichten abgegolten. Nicht umsonst rückt die
„Verfügbarkeit“ des Ehepartners die Ehe oft in verdächtige Nähe zur
Prostitution.
Der juristisch abgedeckte
Besitzanspruch wirkt nicht gerade erotisch stimulierend. Erotische Anziehung
lebt von einer Spur Ungewissheit, eben davon, dass man den anderen nicht ganz
besitzt. Es geht nicht ohne das ständige Spiel von Werbung und Eroberung. In
der Ehe sind diese Spiele überflüssig oder fiktiv. Man hat ein Recht auf den
anderen, das macht ihn uninteressant.
Gefühle unter Vertrag? Der
Vertrag wirkt wie eine Kältemaschine auf die Gefühle. Viele verstehen nicht,
warum ihre Liebe vor der Heirat unbeschwert und leidenschaftlich war, während
danach nichts mehr ging. Und manche Eheleute konnten sich nach ihrer Scheidung
wieder lieben, nachdem sie weder auf Rechte pochen konnten noch sich an
eheliche Pflichten gebunden fühlten. Auf jede Art von Zwang scheint die Liebe
besonders allergisch zu reagieren.
Die „Paare ohne Trauschein“ haben
wenig Grund zur Überheblichkeit. Ihre Liebe bleibt zwar vor dem Würgegriff
juristischen Vertragsdenkens verschont; gewöhnlich schleichen sich jedoch die
gleichen utopischen Erwartungen und ein heimlicher Besitzanspruch in ihre
Beziehung ein. Vor allem in der Praxis unterscheidet sich ihr Zusammenleben
kaum von dem der Ehepaare.
Verzichten wir auf die tausend kleinen Details, an
denen die Liebe ihren Erstickungstod erleidet. Beschränken wir uns auf den
einen, wesentlichen Faktor. Der Moderne lebt „paarweise“. Sein Privatleben
spielt sich auf engstem Raum ab, es ist nach außen abgeschottet. Alle
Erwartungen und Gefühle konzentriert er auf seinen Partner. In dem täglichen
dichten Nebeneinander dieses Zwei-Personen-Haushalts beachtet er nicht das
Gesetz der Distanz. Der Angleichungs- und Gewöhnungseffekt wird überstark.
Erotische Anziehung verlangt einen gewissen Abstand.
Es ist nicht anders als beim Elektromagnetismus. Die Ladungen müssen getrennt
und „polarisiert“ werden, damit ein Kraftfeld entsteht und der berühmte Funke
überspringt. Der Dauerkontakt in der Ehe wirkt wie ein permanenter Kurzschluss.
Es kann sich keine Spannung aufbauen. Eigenständigkeit und ein Stück Anonymität
müssten gewahrt bleiben. Bedingungslose Intimität degradiert den anderen zur
ausgetragenen Jacke, zum ausgetretenen Pantoffel. „Sie erkannten sich, bis
nichts mehr ging!“
Das erotisierende Wechselspiel von Nähe und Feme, von
Intimität und Anonymität, ist in der Ehe kaum möglich. Es gibt kein Ausweichen
oder Sich-Zurückziehen, ohne dass der andere womöglich beleidigt wäre. Die
infantile, besitzergreifende Anhänglichkeit deines Partners windet sich wie
eine „Boa constrictor“ um dich.
In diesem Wettstreit gegensätzlicher Kräfte – die
Erotik braucht Abstand, die sozialen Bedürfnisse verlangen nach stabiler Nähe –
gewinnt schließlich die Gemütlichkeit die Oberhand über die Erotik. Die
familiäre, ganz auf die Elternrolle fixierte Häuslichkeit wird gepflegt und
tötet jede erotische Anziehung. Wenn die Frau dann zu ihrem Mann „Papi“ und der
Mann zu seiner Frau „Mutti“ sagt, ist die Rückkehr zu infantilen
Verhaltensmustern perfekt.
Die Ehe wird zum Versorgungsinstitut. Saubere Wäsche
und regelmäßige Hausmannskost sind die zentralen Themen. Im täglich frisch
gemachten Bett spielen sich kaum mehr ekstatische Erlebnisse ab. Längst wurde
die Liebe zur routinemäßigen Pflichtübung. Zufälle und Überraschungen sind
ausgeschlossen. Es läuft alles ohne die geringste Chance auf Veränderung ab.
Der Ehekrach ist die einzige Möglichkeit, vorübergehend auf erfrischenden
Abstand zu gehen. Er entlädt aggressive Spannung und baut gleichzeitig
erotische Spannung auf. Manche Liebe rettet sich von einem reinigenden Gewitter
zum nächsten.
Die Funktion des liebenden Ehemannes beschränkt sich
schließlich darauf, regelmäßig Haushaltsgeld nach Hause zu bringen. Er spielt
die Rolle des treu sorgenden und gut versorgten Familienvaters. Seine Gattin,
die ganz in ihren häuslichen Mutterpflichten aufgeht, erwartet von ihm keine
Geschlechtslust mehr. Sie lässt es aber auch nicht zu, dass er außerhalb des
Hauses geschlechtliche Freuden sucht. Sie kastriert ihn und wacht eifersüchtig
über eventuell aufflackernde sexuelle Regungen ihres Gatten.
Außereheliche „Verhältnisse“ braucht sie kaum zu
fürchten. Gewöhnlich triumphieren die Ehefrauen über die Geliebten. Wer seine
Mutterinstinkte geschickt einsetzt, beherrscht die infantilen Männer besser als
jede erotisch noch so begabte Geliebte. Die Geliebten wechseln, die Ehefrau
bleibt. Das also war die „große Liebe“, der „Bund fürs Leben“, von dem die
frisch Vermählten geträumt hatten?