Vorteile der Ehe

 

Wenn zwei sich nicht mehr lieben, dürfen sie sich nicht einfach trennen. Die Kirche legt ein unbeugsames Veto ein, der Staat verlangt eine Gerichtsverhandlung. Der Scheidungsprozess schreckt manchen vor dem befreienden Schritt ab.

An dem Bestand der Ehe sind sie alle interessiert, die Gralshüter der Kultur. Politik, Kirche und Wirtschaft sind sich einig, wenn es darum geht, die wankende Institution Ehe zu retten. Und selbst die bisweilen frivole Kunst behandelt die Ehe mit Toleranz und Respekt.

Die Ehe ist kein kulturelles Zufallsprodukt, das man beliebig austauschen könnte. Dein Leben gleicht einem Puzzlespiel: an der entsprechenden Stelle passt eben nur die Ehe hinein. Auf sie wurdest du hinerzogen, von ihr verspricht sich auch die derzeitige Kultur entscheidende Vorteile.

Machen wir uns also auf die Suche nach Argumenten für die Ehe. Das erste, was ins Auge springt: Die Ehe schafft Ordnung. Für das Funktionieren einer Massengesellschaft ist Ordnung oberstes Gebot. Wir leben nicht mehr in der Urhorde. Dort hatte sich der Geschlechtstrieb relativ schnell ausgetobt. Die Männchen wussten, an welche Weibchen sie herankamen und was sie zu erwarten hatten. In der modernen Massengesellschaft sieht das anders aus. Die Versuchung ist endlos. Es ist ein Unterschied wie der zwischen Tante-Emma-Laden und Super-Einkaufsparadies.

Das Überangebot an potentiellen Liebespartnern ist ein Risikofaktor. Wäre Promiskuität erlaubt, käme es zu endlosen Zweikämpfen zwischen brünstigen Männern. Energiefressende Werberituale würden alle anderen Aktivitäten lähmen. Unkontrollierte Paarungen und unersättliche Liebeslust würden zu einem chaotischen Durcheinander führen.

Die Beherrschung der Triebe tut Not. Und wenn der Kulturmensch von der Beherrschung seiner Triebe spricht, dann meint er das „total“, „ideal“ und „absolut“. Für ihn gibt es keine Zwischenlösungen zwischen „Monogamie total“ und „Promiskuität total“, zumindest nicht in der Theorie.

Die Ehe schafft Ordnung und vermeidet Konflikte. Was sich unter der Oberfläche an chaotischen Konflikten zwischen den Ehepartnern abspielt, „private“ Katastrophen und Tragödien, nimmt man gern in Kauf. Weiß man doch, Ehekonflikte werden verdrängt oder bleiben in den eigenen vier Wänden, sie belasten nicht die Öffentlichkeit.

Nicht nur die Allgemeinheit, auch der Einzelne hat Vorteile von der Ehe. Die monogame Ehe hat einen beinahe „demokratischen“, sozial gerechten Aspekt in das Liebesleben eingeführt: Jedem Männchen sein Weibchen! Vorbei die Zeiten, da herrische Paschabullen sich jedes Weibchen griffen, das ihnen gerade gefiel. Der Kleine Mann braucht nicht mehr jene arroganten Potenzprotzen zu fürchten. Er darf sich seines Weibchens einigermaßen sicher sein, zumal dessen Sinnen und Trachten nicht mehr auf die Signalwirkung antiquiert klassischer Männlichkeit fixiert ist.

Monogamie schützt außerdem vor dem Vergleich. Dein zartes Selbstbewusstsein muss nicht ständig den Konkurrenzkampf fürchten. Du stehst auf einem Siegerpodest, an dem nur schwer zu rütteln ist.

Die Ehe schirmt dich gegen die Gefahren des Unbekannten ab. Wenn die Versuchung lockt, erspart dir dein Treueversprechen das Risiko eines Neubeginns. Denn jede sich anbietende Liebe ist ein „Abenteuer“. Es kann glücken, es kann aber auch schiefgehen. Wenn du der erotischen Herausforderung ausweichst, brauchst du dich dessen nicht zu schämen. Im Gegenteil. Du darfst deinen Rückzug stolz mit Moral und Loyalität tarnen.

Wer wird hier von Feigheit oder neurotischer Ängstlichkeit sprechen? Ist diese Ängstlichkeit doch ein mindestens ebenso guter Garant für eheliche Treue wie der Mangel an Gelegenheit. Hast du erst einmal gelernt, dich zu bescheiden und nicht mehr nach den Trauben zu schielen, die zu hoch hängen, und nach der Taube auf dem Dach, dann überwiegen die Vorteile der Ehe.

Deine sexuelle Versorgung ist langfristig gesichert. Ohne zeitraubende Suche und aufwendige Liebeswerbung steht dir ein Begattungspartner zur Verfügung, sozusagen „auf Abruf bereit“. Das bedeutet Energiegewinn. Für Energieprobleme hat man heutzutage einen ausgeprägten Sinn. Sind deine Liebesprobleme per Ehe „ein für allemal“ gelöst, fördert das deine Konzentration auf das Wesentliche, auf den Beruf. Als Moderner weißt du, dass und wofür du dich zu entscheiden hast.

Der Mensch ist mehr als ein brünstiges Männchen oder ein heißgelaufenes Weibchen! Nur professionelle Playboys und heillose Orgasmusjäger, die sich mit dem Erlöschen ihrer Liebeslust nicht abfinden können, wehren sich gegen die notwendigen, absoluten Prioritäten und verweigern den höheren Zielen der Menschheit das persönliche Opfer. Die Masse schreitet geduldig zum Altar, und das ist gut so.

Das Opfer, das gebracht werden muss, sollte nicht schwer fallen. Die Erziehung hat vorgesorgt. Sie hielt den Geschlechtstrieb von vornherein am kurzen Zügel und hat ihn auf das Korsett Ehe vorbereitet. Ein gut dressierter Hund gewöhnt sich bald an die Leine und an das stereotype Futter aus der Pappschachtel.

Und wenn deine Liebeslust in der Ehe wie in einem endlosen Wüstenwadi versickert, ist das nicht tragisch. Impotenz und Frigidität sind kein Grund zum Minderwertigkeitskomplex, wenn sie höheren Zielen und einer höheren Moral geweiht sind. Sie sind dem Zölibat des Priesters vergleichbar.

Die Ehe erweist sich als ein wirksamer Dämpfungsfaktor, als eine Art „sanfte Kastration“ des ohnehin überhitzten Geschlechtstriebs. Erotische Abkühlung kann nicht schaden. Wenn ein Vulkan erlischt, ist das besser als heimlich lauernde, unberechenbare Katastrophen.

Warum sollte man also die Institution Ehe untergraben und eine „freie Liebe“ propagieren, die unweigerlich auf fragwürdige Exzesse hinsteuert? Ersparen wir uns die schreckliche Vorstellung, wie es ohne Ehe in unserer Gesellschaft aussehen würde. Verzichten wir auf unnötige Experimente und Modellversuche. Würde man je ein ähnlich wirksames Konzept eines radikal beschnittenen, moralisch und utopisch verklärten Liebeslebens finden wie die Ehe? Halten wir an dem Konzept Ehe fest. Hat es sich doch über Jahrtausende bewährt.

 

Leseproben | Home