Wider die Konsumkritik

 

Gefährliche Zweifel

 

Da gibt es die notorischen Zweifler und Nörgler, die sogenannten Systemkritiker, die sich von der „Konsumgesellschaft“ distanzieren und uns das Konsumieren madig zu machen versuchen. Sie prangern den angeblichen „Konsumzwang“ an und reden gar von „Konsumterror“.

Wer wird hier ernsthaft an Zwang oder Terror glauben, wo es doch um naive Lust geht und wir so überaus angenehm zum Konsumieren angeregt werden? Der zivilisierte Mensch hat die Fesseln dumpfer Notwendigkeit und karger Anspruchslosigkeit gesprengt, er hat mehr als nur „Fressen“ und „Kopulieren“ im Sinn. Er hat neue Bedürfnisse und eine neue, höhere Lust entwickelt. Diese Bedürfnisse in „Zwänge“, die Konsumlust in „Terror“ umzuinterpretieren, ist töricht und zwecklos. Der Höherzivilisierte wird nicht mehr in vorkulturelle Stadien zurückfallen.

Nicht minder töricht ist der Vorwurf der „Verführung“, den die Konsumkritiker der Werbung machen. Sie fordern mehr „sachlich informative“ Werbung. Das verrät nur die sinnlich verkümmerte, auf intellektuell getrimmte Denkungsart dieser Leute.

„Sachliche Werbung“ – ebenso gut könnte eine Frau mit Lebenslauf und Liste ihrer Körperdaten antreten, um ihren Liebsten zu gewinnen. Übrigens, die Hightech-Generation der Zukunft wird sich ohnehin mehr an den technischen Daten der Produkte aufgeilen als am derzeitigen emotionalen Firlefanz. Die Konsumkritiker von morgen werden mit Wehmut an die Werbemethoden von heute zurückdenken.

Was heißt hier überhaupt „Verführung“? Die gesamte Natur arbeitet mit Verführung. Sie lockt mit Farben und Düften brave Insekten in tödliche Fallen. Herrlichere und üblere Tricks als die Natur – und wer wird ihr unmoralisches Gebaren anlasten? – kann sich kein menschliches Gehirn ausdenken. „Der Zweck heiligt die Mittel“, diese Maxime ist nicht Ausgeburt menschlicher Bosheit, sondern der Natur abgeschaut.

Was bedeutet Leben anderes, als permanent zu etwas „verführt“ zu werden? Und wer von den kritischen Zweiflern verführt nicht sein Kind mit Lob und Überredungskunst zum Gehorsam, zum Glauben an die eigenen Überzeugungen? Wenn das Kind darauf hereinfällt, geschieht das doch zu seinem Besten.

Die Stimmungsmacher gegen den Konsum prangern das „merkantile Denken“ und die „totale Vermarktung“ des Menschen an. In ihrer überheblichen Ignoranz übersehen sie die unglaubliche Kreativität, die sich am Kunstwerk Ware entfaltet und die das Konsumieren zum Kunsterlebnis macht.

Erst recht begreifen sie nicht die wahrhaft segensreichen Folgen der Vermarktung. Denn ist ein Bedürfnis erst einmal vermarktet, d. h. in ein käufliches Produkt verwandelt, hat es seine gefährliche, explosive Brisanz verloren.

Man gönne der aufmüpfigen Jugend Rockmusik und Punkerlook, und der meiste Dampf ist abgelassen. Man gönne dem treuen Ehemann das Herrenmagazin, und seine Neugier ist fürs erste gestillt. Man lasse ihn sein Prestigebedürfnis am neuen Auto abreagieren, seine Abenteuerlust an einer Zigarette verpuffen, und er wird es sich stolz und zufrieden am heimischen Herd gemütlich machen.

Der vernachlässigten Ehefrau gönne man das narzisstische Spiel um Mode und Kosmetik, und sie wird nicht auf die Idee kommen, sich Streicheleinheiten außerhalb der Ehe zu suchen. Den aggressionslüsternen Massen erlaube man, sich in Serienkrimis an Mord und Vergewaltigung zu ergötzen, und man erspart sich Bürgerkriege und Notzuchtverbrechen.

Das ist doch die moralisch stabilisierende Funktion der Vermarktung. Sie entschärft unterschwelligen Zündstoff, indem sie den anerkannt prekären primitiven Bedürfnissen Befriedigung auf Umwegen, per sublimen Ersatz, gewissermaßen auf einem „höheren Niveau“ verschafft.

Beruht nicht die ganze menschliche Kultur auf der Sublimierung des Primitiven und Elementaren? Wer könnte ernsthaft daran interessiert sein, dass die Menschenmassen aus dem System der kulturellen Ersatzbefriedigung ausbrechen, plötzlich in Liebe oder Hass übereinander herfallen und jedwede „Direktbefriedigung“ betreiben? Das würde das totale Chaos bedeuten.

Die Industriekultur hat in die menschlichen Beziehungen eine neue, wohltuend kühle Sachlichkeit eingeführt und sie von unerträglichem Pathos und sinnloser Leidenschaftlichkeit befreit. Die alte sogenannte „Menschlichkeit“ – gefühlsduselig, lüstern und unmoralisch – wird allmählich überwunden. Man löst die menschlichen Probleme nebenbei und ohne übertriebenen Aufwand. Der Mensch hat es endlich gelernt, sich auf die Dinge anstatt auf die Menschen zu konzentrieren. Er konsumiert, anstatt sich in unselige Beziehungen zu verstricken.

Übrigens, die Propheten wider den Konsum halten sich in naiver Selbsttäuschung für erhaben über den „Konsumzwang“. Offenbar merken sie nicht, dass sie selbst längst in den Sog der Vermarktung geraten sind und fleißig konsumieren. Wird nicht gerade in der „alternativen Szene“ ein Kult um überflüssigen Krimskrams getrieben? Schmückt man sich dort nicht mit Ramsch und Kitsch aus der Dritten Welt? Hat man nicht seine Mode und seine Accessoires entwickelt, an denen man sich gegenseitig erkennt? Lauscht man nicht süchtig auf seine Musik und leistet willig seinen Beitrag zum Boom der Unterhaltungselektronik?

Und jene stolzen Verächter der materialistischen Gesinnung – sind sie in ihrem unstillbaren Appetit auf Bücher, Schallplatten und Filme nicht brave, umsatzfördernde Konsumenten? Wer kann von sich ehrlich behaupten, dass er in diesem Disneyland der Verlockungen und Illusionen nicht irgendwo „hängen bleibt“ und einem geheimen Zwang nachgibt? Ist das alles des Teufels? Was würde passieren, nähme man dem Konsumbürger alles „Überflüssige“ weg? Was bliebe von ihm übrig?

Geben wir es ruhig zu. Er wäre „nackter“ als der nackteste Primitive. Es wäre für ihn der sichere Weg in Depression und Verzweiflung. Und nicht nur das. Es wäre neben der psychischen eine ökonomische Katastrophe, gleichbedeutend mit dem Untergang der zivilisierten Menschheit.

Denn etwas ist geschehen, was die Konsumkritiker nicht begreifen oder nicht wahrhaben wollen. Das sogenannte „Überflüssige“ wurde längst in den Rang des Überlebensnotwendigen gehoben. Die Industriekultur lebt von der Produktion des Überflüssigen, der „Extras“. Das Auto, einst Spleen von ein paar wenigen Reichen, wurde ein Grundpfeiler der Volkswirtschaft. Wohl und Wehe der Menschheit hängen von solchen und ähnlichen „Spielzeugen“ ab. Waren es bisher mechanische, werden es in Zukunft mehr elektronische sein.

Wir haben mit Zivilisation und Technik kokettiert und sind ihr hörig geworden. Das „goldene Zeitalter“ der vorindustriellen Kulturen, die noch von der Produktion des unbedingt Notwendigen lebten, ist vorbei. Das wird den letzten Agrarvölkern, die in bescheidener Autarkie leben, unerbittlich klargemacht, indem man sie an das Netz der Weltwirtschaft anschließt.

Die Industriekultur hat den Menschen von der alptraumhaften Einfachheit des primitiven Lebens erlöst; jetzt darf er sich dem reichhaltigen Angebot nicht entziehen. Asketische Konsumverweigerung  würde Selbstmord bedeuten.

Was soll das also: Sich auf einen Bauernhof zurückziehen, Schafe züchten, Wolle spinnen, schreinern und die Töpferscheibe drehen? Derlei nostalgische Idylle können sich nur ein paar wenige leisten, solange die Masse ihre Pflicht tut und tapfer in der harten Wirklichkeit, sprich: Gegenwart, lebt.

Die Zweifel an der Konsumgesellschaft sind gefährlich und eigentlich nicht mehr erlaubt. Derart destruktive Gedankengänge sind nur etwas für Amokläufer oder Selbstmörder.

Gleichermaßen selbstzerstörerisch ist die Kritik an der „Leistungsgesellschaft“. Natürlich findet sich der Konsumbürger auf der Kehrseite der Medaille als „Leistungsbürger“ wieder. Vor den Lohn haben die Götter den Schweiß gesetzt! Die Industriekultur fordert von uns hohe Leistung; dafür bietet sie reichhaltigeren Trost und Belohnung an als alle bisherigen Kulturen. Das wird gerne vergessen. Zudem stützt die geforderte Leistung die Moral der Bürger. Müßiggang ist bekanntlich aller Laster Anfang.

Dass die abverlangte hohe Leistung durch einen gewissen Frustrationseffekt den Konsumdrang verstärkt und dieser wiederum erhöhte Leistungsbereitschaft fördert, ist ein glücklicher Zufall, eine Art „Rückkoppelungseffekt“, dem wir unseren stetig steigenden Lebensstandard verdanken.

Wer dem Zeitgenossen die Konsumlust verdirbt und den Leistungswillen untergräbt, erweist ihm einen Bärendienst. Er zerstört das ökologische Gleichgewicht zwischen Konsum und Leistung, das lebensnotwendiger als alle Ökologie in der Natur geworden ist. Das sollten sich die Herren „Systemkritiker“, deren ökologisches Denken offenbar nicht über die ökologischen Nischen eines Baumes oder Tümpels hinausreicht, zu Herzen nehmen.

Die Ökologie der Moderne heißt „Konjunktur“. „Konjunktur“ bedeutet „Verbindung“. Im Wirtschaftsleben – und das ist unser Leben – ist alles irgendwie verbunden und verzahnt. Wer aus der Maschinerie nur das geringste Rädchen herausnimmt, gefährdet das Ganze.

Die Konjunktur ist ein sensibles Gebilde, ein zartes Pflänzchen, das nur in einem geschützten Treibhausklima gedeiht. Der Mensch kann, das hat er bewiesen, in einer verschmutzten Umwelt, zwischen vergifteten Gewässern und in verpesteter Luft recht gut überleben; nicht aber in einem „Konjunkturklima“, das zusätzlich zu den schon bestehenden Problemen noch vom Lamentieren sogenannter „Andersdenkender“ vergiftet wird.

In der Gegenwart bedeuten bescheidene Konsumlust und gedämpfter Leistungswille ein an asoziale Gleichgültigkeit heranreichendes Fehlverhalten. Derartige Verweigerungsmentalität trifft den Lebensnerv unserer Kultur.

Der ewige Streit darüber, ob die „Konsum-Leistungsspirale“ ein Teufelskreis oder gottgewollt sei, führt zu nichts. Andere Generationen haben längst für uns entschieden. Wir können uns an den vollendeten Tatsachen nicht vorbeimogeln. Aus dieser Spirale ausscheren hieße, in irgendeine Scheinwelt mit Drogen und euphorischen Ideen flüchten und als Schmarotzer auf Kosten anderer leben.

Nicht umsonst lungert ein Großteil der „alternativen Szene“ in Haschwolken herum und nützt die Gastfreundschaft einfacher Menschen in unterentwickelten Ländern aus. In Ablehnung der Konsum-Leistungsgesellschaft zelebrieren sie Arbeitsscheu, Geilheit und Chaos. Ihre Geistesart ist nicht nur naiv utopisch, sondern in höchstem Maße dekadent. Strebt sie doch den Niedergang dieser Kultur an und hilft bei der Zerstörung dessen, was mit soviel Mühe und Schweiß erarbeitet wurde.

 

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