Vorwort
Es
lässt sich nicht leugnen, die mythisch-transzendentalen Weltbilder sind in der
Krise. Den christlichen Kirchen laufen zumindest in unseren Breiten die
Mitglieder davon. Mit Blick auf die Gesamtheit der Kulturen lassen sich zwei
gegensätzliche Tendenzen ausmachen: einerseits die Auflösung der Religion,
andererseits ein Aufbäumen dagegen und die trotzige Hoffnung auf die
»Wiederkehr der Religion«. Bedenklich: das aggressiv kämpferische Auftreten
diverser Bewegungen mit Berufung auf die Wahrheit und den Führungsanspruch
ihres Glaubensbekenntnisses.
Unter der Fahne der Religion versammeln sich
Konservative und Fortschrittliche, Gutmenschen und Terroristen. Die brisante
Situation wird teils mit Angst, teils mit erschreckender Gleichgültigkeit
betrachtet. Das Arsenal in den Auseinandersetzungen reicht denn auch von
toleranter Duldung, manchmal sogar Anbiederung an die Konkurrenzreligion, bis
hin zu erbarmungslosen Gewaltexzessen. Die einen verteidigen halbherzig ihre
säkularen Verfassungen und berufen sich paradoxerweise auf ihre »christlichen
Wurzeln«, die anderen rufen nach dem »Gottesstaat«, begründet auf den
Offenbarungen und heiligen Schriften ihrer Propheten. Die Frontlinie verläuft
nicht mehr nur zwischen den Religionen. Innerhalb einer Kultur geraten
zunehmend die »religiös Konservativen« und die »liberal Säkularen« in Konflikt.
Die einen kämpfen für den Sieg ihres Glaubens, die anderen setzen auf Dialog
und friedliche Koexistenz.
Keine Kultur tat sich leicht damit, ihr überkommenes
mythisches Weltbild abzulegen und sich von ihren Göttern zu verabschieden.
Ägypter, Griechen, Römer – ihre Götterwelt musste wie die magischen Welten
zuvor erst entzaubert werden, um einem neuen, faszinierenderen Mythos, dem
Monotheismus, Platz zu machen. Doch jetzt steht auch das Christentum wie die
anderen monotheistischen Religionen unter einem zunehmenden Säkularisierungs-
und Relativierungsdruck. Es gerät immer mehr in den Rang einer musealen,
folkloristischen Tradition. Die Frage stellt sich: Warum verliert es an Glanz
und Überzeugungskraft? Hat es etwa ausgedient? Werden wir Zeugen des leisen
Sterbens eines Mythos?
»Zweitausend Jahre Christentum sind genug. Durch
Unsere Einsicht ernüchtert und erleichtert zugleich, entlassen Wir, der Heilige
Stuhl, Euch in eine Welt ohne göttliches Heilsversprechen. Wir bedauern
zutiefst, Euch jenen transzendentalen Trost nicht mehr gewähren zu können, den
Wir…« So oder ähnlich hätte die Enzyklika eines mutigen und intellektuell
redlichen Papstes zur Jahrtausendwende beginnen können. Die Welt wäre
überrascht, aber nicht schockiert gewesen. Denn das christliche Weltbild
befindet sich längst in einem Überblendvorgang zu seinem säkularen
Nachfolgemythos. Und auch dieser scheint seine Blütezeit bereits überschritten
zu haben. Bleibt die spannende Frage: Was kommt danach? Braucht der Mensch
womöglich immer neue Mythen?
Die Überlegungen dieses Buches werden sich nur am Rande
mit den monotheistischen Religionen Judentum
und Islam befassen. Deren kritische
Beurteilung sei Leuten überlassen, die aus dem entsprechenden Kulturkreis
stammen und mit dessen Inhalten vertraut sind. Ohne Kenntnisse von innen lässt
sich eine Religion nur schwer beurteilen. Über die mir vertraute christliche,
speziell römisch- katholische Religion erlaube ich mir ein persönliches Urteil.
Ich werde jedoch versuchen, das Christentum als Vertreter des Monotheismus
im Rahmen der mythischen Weltbilder gleichsam als die vielleicht letzte Aufgipfelung
transzendentaler Weltanschauung kritisch zu hinterfragen, ohne die Überheblichkeit
manches Zeitgenossen und dessen naiven Glauben an moderne, säkulare Heilsmythen.
Arroganz ist nicht angebracht. Haben doch seit Menschengedenken alle Mythen
die gleiche Wurzel, die gleiche Funktion und – das sei zu ihrer Verteidigung
gesagt – die gleiche historische Berechtigung. Das Problem ist nicht der Mythos,
sondern das Festhalten an ihm, wenn seine Zeit abgelaufen ist.